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Beeindruckende Gedenkfeier an Unterfrankens größtem Judenfriedhof – Es war eine ganz besondere Atmosphäre, die am Judenfriedhof in Kleinbardorf aufkam, als dort am Samstagabend der evangelische Pfarrer Andreas Biesold (Waltershausen) zum Gedenken an die 75. Wiederkehr der Reichskristallnacht und die sechs Millionen Toten erinnerte. Etwas mehr als 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, teils durch das Waldstück am Annbild, teils vom steilen Weg bei Kleinbardorf. Taschenlampen sah man zwischen den Bäumen aufleuchten, Menschen, die in aller Stille den Judenfriedhof mit seinen mehr als 5.000 Grabsteinen betraten

Pfarrer Andreas Biesold hatte auf einem Stein Kerzen entzündet. Die meist verwitterten Grabsteine, schemenhaft im Hintergrund, der Mond über dem Friedhof - das alles trug ganz sicher dazu bei, daß diese Andacht etwas Besonderes war.  Der Pfarrer sagte, daß der Namen "Reichskristallnacht" daher kommt, daß vor 75 Jahren viel Glas zerbrochen wurde, das sich in den Flammen der brennenden Synagogen spiegelte. Der Pfarrer ging auf die vielen jüdischen Opfer in der Zeit des Nationalsozialismus ein und sagte, daß man um den Geist und den Humor trauere, aber auch um das Lernen und Lachen, das für immer verloren ging.  "Wir sind dankbar für ihr Beispiel an Anstand und Güte und," so der Geistliche weiter "Um des Leids des jüdischen Volkes willen möge eine solche Zeit nie wieder kommen. Möge ihr Opfer nicht umsonst gewesen sein." In einigen stillen Minuten gedachten die Umstehenden der Toten aus der Zeit, als "Wahnsinn die Welt regierte und das Böse in der Welt wohnte."

"Sie haben unter uns gelebt, waren Nachbarn, Arbeitskollegen, unsere Bekannten, Freunde, sie hatten nur einen anderen Glauben, den sie still für sich gelebt haben." Pfarrer Biesold machte deutlich, daß gerade der Judenfriedhof bei Kleinbardorf der Ort sei, an dem dieses Gedenken besonders deutlich wird. Heute wisse man, daß den Nationalsozialisten der Glaube "ziemlich schnuppe war."  Der Rassenhass sei es gewesen. Mit Gewalt sei die Ideologie der damaligen Machthaber durchgesetzt worden. Es sei wichtig, auch heute aufmerksam zu bleiben für das Ungeheure, was Menschen, Menschen antun können.

Der Pfarrer sagte, daß die Menschen, die Zeugen waren, heute größtenteils nicht mehr leben. "Wir müssen uns klar werden, wie bringe ich das den Kindern bei!" Diese Erinnerung müsse wach bleiben und sollte weiter gegeben werden. Den 9. November nannte der Pfarrer einen Schicksalstag in der Geschichte des deutschen Volkes. Vor 24 Jahren fiel die Mauer. Auch hier sind die Grenzen längst verschwunden. Kaum gibt es noch Orte, die daran erinnern. Auch das sei es wichtig zu bewahren, was Menschen, Menschen antun. Der 9. November sei deshalb ein besonderer Tag der Erinnerung.

Im Gebet erinnerte Pfarrer Biesold daran, daß Gott nicht weg sieht. Natürlich stelle man sich die Frage: Wo war Gott im Holocaust, wo war Gott in Auschwitz? Darauf gebe es keine wirkliche  Antwort, die befriedigen könne. Das jüdische Volk habe jedoch für sich eine Antwort gefunden. Biesold verwies auf den deutschen Unternehmer Schindler, der 1.200 Juden eingestellt und vor dem Konzentrationslagern bewahrt hat. Heute gebe es mehr als 5.000 Nachfolger dieser Schindlerjuden. Schindler sei ein Werkzeug Gottes gewesen. Die Überlebenden hätten so eine Antwort gefunden, denn letztendlich habe Gott sie bewahrt.  Text: Hanns Friedrich

Die unglaublichen Vorgänge fanden in der Heimat statt

Bad Königshofen.  An zehn verschiedenen Orten im Landkreis Rhön-Grabfeld hatte der evangelisch –lutherische Dekanatsbezirk Bad Neustadt zu Gedenkveranstaltungen anlässlich der 75. Wiederkehr der Reichspogromnacht in Zusammenarbeit mit dem Katholischen Dekanat eingeladen. Auch auf dem jüdischen Friedhof in Bad Königshofen fand am 9. November eine Andacht statt mit ausdrücklicher Genehmigung des Landesverbands der israelitischen Kultusgemeinde München, wie Pfarrer Lutz Mertten mitteilte, der gemeinsam mit Pfarrer Karl Feser die ökumenische Andacht gestaltete.

Bereits vor dem 9. November war der Friedhof in Königshofen geschändet worden, die Grabsteine wurden durch Mitglieder des Reicharbeitsdienstes umgeworfen, später wurden sie teilweise als Trittsteine zur Wegbefestigung verwendet und lange nach Kriegsende wieder zurückgeführt. Allerdings waren nur Teile davon auffindbar. Der Königshöfer Friedhof war gerade deshalb 1921 angelegt und durch David Friedmann, der dort auch als Erster beerdigt wurde, für 12.000 Mark mit einer Umzäunung versehen, weil die jüdischen Einwohner glaubten, eine zentralere Lage – im Gegensatz zum Kleinbardorfer Friedhof – würde vor Vandalismus besser schützen. Die Synagoge, 1904 eingeweiht, wurde in Königshofen am 10. November systematisch zerstört, Fenster, Türen, sämtliches Mobiliar und die Gesetzestafeln wurden von einem Rollkommando aus der Bamberger Gegend zerschlagen. Das Gebäude diente zunächst als Getreidelager und wurde 1952 abgerissen.  (siehe Buch „Die Juden im Grabfeld“ von Kreisheimatpfleger Reinhold Albert und Recherchen von Rainer Seelmann).  

Auch während der Andacht am Samstagabend wurde darauf hingewiesen, dass die heute fast unglaublichen Vorgänge nicht irgendwo, sondern mitten in der Heimat stattgefunden haben. Die Reichspogromnacht gilt als Anfang der systematischen Judenverfolgung, die in die Vernichtung von sechs Millionen Menschen mündete. Es gehe jedoch 75 Jahre danach nicht um Zahlen und Schuldzuweisungen, sagte Pfarrer Mertten, sondern darum, zu verstehen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Vor den Augen der Öffentlichkeit wurden Mitbürger hineingezogen in einen Strudel von Gewalt, Qual und Tod, die Menschen waren der Willkür ausgeliefert, so Pfarrer Feser. „Wir gedenken, weil wir das Gestern nicht vergessen und das Morgen gestalten wollen.“

In einer kurzen Predigt erinnerte Pfarrer Mertten an die Anfänge des Nazi-Terrors. Zunächst waren es nur Worte von ein paar „wildgewordenen Horden“, das konnte in einem zivilisierten Land nur ein vorübergehender böser Spuk sein. „Noch nie haben sich Menschen so sehr geirrt“, stellte Pfarrer Mertten fest. Kinder, Mütter, Väter, Großeltern – die Geschichte derer, die nicht fliehen konnten, wurde ausgelöscht, nur weil sie Juden waren.

Mit Schweigeminuten und Kerzen in den Händen gedachten die rund 100 Teilnehmer auf dem jüdischen Friedhof Bad Königshofen der Opfer der Judenverfolgung. Pfarrer Mertten bedankte sich am Ende für die zahlreiche Teilnahme und freute sich, dass auch viele Kinder dabei waren. Er überbrachte die Grüße der israelitischen Kultusgemeinde, die ganz gerührt von der Idee war, dass Christen der Opfer auf dem Friedhof gedenken. Sein Dank galt der Feuerwehr, die für die Beleuchtung gesorgt hat. Viele Bürger stellten anschließend Kerzen in die Fenster, zum Zeichen des Gedenkens, während um 20 Uhr alle Glocken läuteten.   Text: Regina Vossenkaul

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