Dass dieses Instrument auf der kleinen Empore der Spitalkirche solch eine Rarität ist, das wußte auch Verwalter Manfred Bühner nicht. Für ihn ist die Hauskapelle im Elisabethaspital in Bad Königshofen schon ein besonderes Kleinod. "So etwas gibt es ansonsten in Altenheimen nicht." Sein Vorgänger als Verwalter, Roland Schunk, hatte so etwas geahnt, als das Instrument vor einigen Jahren entfernt werden sollte, weil es spieltechnisch nicht mehr in Ordnung war. Er verwies auf entsprechende Unterlagen im Archiv des Spitals. Dort ist nach zu lesen, daß dieses Harmonium von einer Heimbewohnerin gestiftet wurde. "Und das war für mich der Grund, mich dafür einzusetzen, daß die kleine Orgel stehen bleibt." Damals wurde dann ein Ersatzinstrument, eine elektronische Orgel angeschafft.
Natürlich längst nicht zu vergleichen, mit dem historischen Instrument, das hier steht, sagt Orgelbaumeister Herbert Hey, Allein durch die vorhandenen Fußpedale, wie man sie von den Orgeln kennt, ist das Harmonium in der Spitalkirche eine Besonderheit. Dann blickt er auf die beiden Manuale und die sogenannten Spielhilfen: Das sind Forte II, Forte I, Echo 8‘, Sirene 8‘, Cremana 8‘, Pedal 16‘, Ped.-Coppel, Gran Jeu, Man.-Coppel, Pedal 8’, Flöte 8’, Fifre 4’, Vox ceoleste 8’, Forte I, Forte II, Pedalforte. Schließlich wischt er kurz den Staub der vergangenen Jahre von einem kleinen Schild auf dem "Schiedmayer" zu lesen ist. "Das gibt es nicht, das ist ein Schiedmayer-Harmonium, der Mercedes unter diesen Instrumenten", sagt Herbert Hey und seine Augen strahlen. Die Firmengeschichte des Unternehmens Schiedmayer geht weit zurück. Herbert Hey: . Julius und Paul Schiedmayer, die jüngeren Söhne J. L. Schiedmayers, gründeten 1853 in Stuttgart die Werkstatt für Harmoniumbau. Dort baute man bald auch Klaviere. Bekannt sind ebenfalls ausgefallene Kombinationsinstrumente wie die Schiedmayer-Scheola. "Das ist eine Mischung von Orgel, Harmonium und Celesta," sagt Hey und nennt auch selbstspielende mechanische Instrumente, die zum Schiedmayer Programm gehörten.
Das Unternehmen firmierte später unter Schiedmayer, Pianofortefabrik. 1969 wurde es vom anderen Stuttgarter Zweig der Familie (Schiedmayer & Söhne) übernommen. Die erste Form des Harmoniums war das Druckwindharmonium, so genannt, weil der Ton durch den Druck der im gefüllten Schöpfbalg befindlichen Luft erzeugt wird, welche durch die Kanzellen und Zungen gedrückt, diese zum Schwingen bringt. Bei Harmonikainstrumenten bezeichnet eine Kanzelle nicht nur Luftzuführung beziehungsweise -abführung zu einer oder zwei Stimmenzungen, sondern ebenfalls den Raum, in den durch einen Schlitz die Stimmzunge hineinschwingt. Bei Handharmonikas und Melodicas wird durch Tasten die Luftzufuhr/-abfuhr zu den Kanzellen einzelner Töne geregelt, bei der Mundharmonika werden die Kanzellen direkt mit dem Mund und durch die Atmung angespielt, wobei auch mit der Zungenspitze Kanzellenöffnungen abgedeckt werden. Wie schon erwähnt, ist der Ton kräftig, kernig und rund. Er besitzt ein großes Volumen, das große Säle und sogar Kirchenräume füllen kann.
In vielen Gemeindehäusern wie auch draußen in den Missionskirchen stehen Schiedmayer-Harmonien und bieten teils als Pedalharmonium, teils mit ein oder zwei Manualen dem Organisten einen genügenden Ersatz für die nicht zur Verfügung stehende Orgel. Übrigens: Schiedmayer zählte zu den besten Harmoniumbauern der Welt. Deshalb nennt Herbert Hey das Harmonium der kleinen Hauskapelle auch eine Rarität, da es heute so etwas so gut wie nicht mehr gibt. Bei einer Restaurierung kommt natürlich einiges an Arbeit auf den Harmoniumbauer zu. So muß das Instrument zum Teil zerlegt und auch die "Zungen" soweit als nötig ausgebaut und gereinigt werden. "Stumme Zungen werden dann auch wieder gangbar gemacht," sagt Herbert Hey. Das Harmonium der Hauskapelle im Elisabethaspital nennt er ein kostbares Möbelstück, das im Rahmen der Renovierung aufgearbeitet werden muß Dazu gehören auch schreinertechnische Arbeiten. Herbert Hey zusammenfassend: "Wenn das schöne Harmonium restauriert wird, würde für die Gottesdienste in der Kapelle wieder ein würdiges und klangschönes Instrument zur Verfügung stehen und das bisherige „Elektronium“ könnte weichen.
Text: Hanns Friedrich