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Ökumenische Gedenkstunde in der evangelischen Kirche Bad Königshofen – Der damalige Bundespräsidenten Roman Herzog hat den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus auf den 27. Januar festgelegt, das entspricht dem Jahrestag der Befreiung der Überlebenden des KZ Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee. Auschwitz gilt als das größte Vernichtungslager des Nazi-Regimes. Auch in Bad Königshofen gab es eine ökumenische Gedenkstunde am Sonntagabend in der evangelischen Kirche, allerdings war das Gotteshaus nicht einmal halb gefüllt. Die musikalische Umrahmung hatten zwei Schülerinnen der Berufsfachschule für Musik übernommen, Charlotte Voss (Geige) und Laura Meehan, Klarinette.

Warum sich die Bad Königshöfer an diesem Tag besonders erinnern sollten, wurde im Verlauf der Andacht dargestellt. Der Holocaust ist auch ein Teil der Stadtgeschichte, denn von den jüdischen Familien, die dort und in der unmittelbaren Umgebung wohnten, ist keine einzige übrig geblieben. Einigen gelang es rechtzeitig auszuwandern oder zumindest ihre Kinder wegzuschicken, der größte Teil wurde deportiert und umgebracht. Neben Pfarrerin Tina Mertten und Diakon Rudi Reuter gestaltete der Gymnasiallehrer Rainer Seelmann die Andacht mit. Er zeigte mit Hilfe einer Präsentation, wie viele jüdische Familien im damaligen Königshofen Handel und Wandel mitbestimmt haben und in der Nazizeit aus dem Stadtbild verschwanden. Innerhalb eines W-Seminars „Judentum in Königshofen“ hatten sich Schülerinnen und Schüler mit 34 Einzelschicksalen befasst und ihre Ergebnisse in einer Museums-Sonderausstellung präsentiert. „Sie haben den Opfern ein Gesicht gegeben“, sagte die Pfarrerin.

Wie Seelmann vortrug, gab es 1904 viel Lob in der damaligen Zeitung „Bote vom Grabfeld“ für die neu gebaute Synagoge, die die jüdischen Mitbürger unter großen finanziellen Opfern gegenüber dem Elisabethaspital gebaut hatten. Sie wurde feierlich gemeinsam mit allen Stadtbewohnern offiziell ihrer Bestimmung übergeben. Wie gut Juden und Christen vor der Machtübernahme durch die Nazis in gutem Einvernehmen gelebt haben, zeigen auch Bilddokumente, auf denen junge Leute gemeinsam bei Sportereignissen und nach einem absolvierten Säuglingskurs zu sehen sind. Die jüdischen Familien betrieben Lebensmittel- und Bekleidungsgeschäfte (Textilien, Schuhe, Hüte) und Metzgereien, dazu kamen mehrere Viehhändler.

Für Henny Frank, die auf dem Bild mit den Säuglingskurs-Absolventinnen zu sehen war, war 1919 die Welt noch in Ordnung. Sie heiratete bald und bekam 1920 eine Tochter. Ihr Leben verlief tragisch, denn es starb erst der Vater, dann ihr Ehemann, das Geschäft der Familie ging in Konkurs. Sie schickte ihre Tochter zur Vorbereitung auf eine Auswanderung auf die Schule in Wolfratshausen (darüber läuft gerade eine Ausstellung im Museum), sie selbst heiratete in Berlin, wurde aber von dort aus gemeinsam mit ihrer Tochter deportiert, bevor sie die Auswanderpläne umsetzen konnte.

Julius Zeilbehr, ein jüdischer Viehhändler, war gleich nach der Machtübernahme verhaftet worden und beschloss nach seiner Rückkehr nach zwei Monaten Gefängnis in Bad Neustadt, seinen Sohn Walter auf die Rabbinerschule in Würzburg zu schicken. Von dort aus führte ihn sein Weg nach Ostpolen, dann weiter auf der Flucht vor dem Nazi-Regime nach Litauen, dann nach Shanghai und von dort in die USA. Dort gab es ein Wiedersehen mit Bruder Fritz, der auch in die USA ausgewandert war. Das Ehepaar Friedmann blieb bei der Großmutter in Königshofen zurück – niemand hat überlebt.

In der ökumenischen Andacht wurde an die insgesamt sechs Millionen getöteten Juden erinnert und daran, wie wichtig es im jüdischen Glauben ist, ihre Namen zu nennen und vor allem die ins Gedächtnis zu rufen, die kein Grab haben. Gedacht wurde auch der Menschen, die sich dem Regime entgegen gestellt haben. Roman Herzog hatte zu dem Gedenktag gesagt: „Die Erinnerung darf nicht enden; sie muss auch künftige Generationen zur Wachsamkeit mahnen. Es ist deshalb wichtig, nun eine Form des Erinnerns zu finden, die in die Zukunft wirkt. Sie soll Trauer über Leid und Verlust ausdrücken, dem Gedenken an die Opfer gewidmet sein und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenwirken.“  Text: Regina Vossenkaul

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