Pfarrer Josef Treutlein und sein evangelischer Amtsbruder Lutz Mertten gestalteten gemeinsam am Allerheiligentag die Andacht am Bad Königshofener Friedhof. und Pfarrer Josef Treutlein segnete zum Abschluss die Gräber. Die Stadtkapelle Bad Königshofen hatte die musikalische Gestaltung übernommen.
Gebete und Fürbitten standen im Mittelpunkt des traditionellen ‚Friedhofsgangs“. Pfarrer Lutz Mertten hatte die Ansprache übernommen und stellte die Frage, wie Reformationsfest und Allerheiligen zusammen passen und: Ist Martin Luther ein Heiliger? Fragen, die der evangelische Pfarrer Lutz Mertten in seiner Ansprache am Allerheiligentag am Friedhof in Bad Königshofen aufwarf. Mit stolz geschwellter Brust hätten die evangelischen Christen am Sonntag das Reformationsfest gefeiert und daran erinnert, dass vor 500 Jahren der Reformator Martin Luther vor dem Reichstag in Worms und dem Kaiser seine Schriften widerrufen sollte. Es handelte sich um zwischen 1519 und Anfang 1521 gedruckte Werke in deutscher und lateinischer Sprache Luther haben den Mächtigen trotzig die Stirn geboten und nicht widerrufen. Er soll gesagt haben: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Pfarrer Lutz Metten nannte diese Worte Luthers ein „trotziges Glaubensbekenntnis.“
Fragen müsse man sich, was davon heute geblieben ist. An diesem Allerheiligentag würden katholische und evangelische Christinnen und Christen gemeinsam am Friedhof stehen. An einem Tag, an dem die Heiligen im Mittelpunkt stehen. Fragen könne man sich da, ob Martin Luther ein Heiliger ist. Aus evangelischer Sicht könne das kaum sein. Aber Heilige seien ja auch Vorbilder und solch ein Vorbild war Martin Luther: „Ein Vorbild im Glauben, wie alle Heiligen.“ Auf die Verhandlung in Worms ging der Pfarrer ein und sagte, dass Martin Luther von Angesicht zu Angesicht dem Kaiser gegenüberstand.
„Ob seine Stimme gezittert hat?“ Ganz sicher sei das so gewesen und Luther habe auch ganz sicher schreckliche Angst gehabt, da er nicht wusste, was ihn erwartet. Solche Angst hätten ganz sicher auch diejenigen gehabt, die in der Todeszelle in der Zeit des Nationalsozialismus auf ihren Tod warteten, aber auch Christus selbst in Gethsemane. „Aber, kann man das vergleichen?“ Lutz Mertten spannte den Bogen zu den Menschen, die in den vergangenen Monaten Abschied von einem lieben Menschen nehmen mussten und hier am offenen Grab standen. Da habe sicherlich die Stimme gezittert, und es kam Angst hoch, was nun werden soll.
Jeder habe sich das wohl gesagt: Ich kann ja nicht anders, kann vor dieser Situation nicht ausweichen. Gott helfe mir. Gott sei der einzige, der helfen kann und der selbst den Tod besiegt hat. Gemeinsam stehe man deshalb heute am Tag nach dem Reformationsfest an Allerheiligen auf dem Friedhof. Das passe doch ganz gut zusammen, und so Pfarrer Lutz Mertten: Vielleicht ist es das, was die Kirchen, was Christinnen und Christen heute gemeinsam gerade am dringendsten brauchen: Glaube, der uns nicht einknicken lässt, auch wenn die Angst groß ist, der uns in die Nachfolge Jesu Christi ruft und uns das Richtige tun lässt, auch wenn die Knie zittern."
Autor: Hanns Friedrich
Ansprache Pfarrer Lutz Mertten
Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir.
Diese Worte klingen bei mir und vielleicht bei einigen von Euch noch nach. Sie klingen nach von gestern, als wir Evangelischen mit stolzgeschwellter Brust die evangelische Freiheit gefeiert haben. Immer und immer wieder haben wir sie wiederholt: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Vor 500 Jahren soll Luther sie auf dem großen Reichstag in Worms vor Kaiser und Kurie ausgesprochen haben. Er hat den Mächtigen die Stirn geboten, auf die Freiheit des Gewissens und des Glaubens gepocht und ein neues Zeitalter begründet. Selbst wenn Luther sich nicht gesprochen haben sollte, was einige bezweifeln, dann gelten sie heute doch als kurzes Glaubensbekenntnis, als trotziges Mantra. Das ist der Soundtrack der Reformation.
Was bleibt davon – heute, auf dem Friedhof? Am Allerheiligenfest. Was bleibt davon, wenn wir heute gemeinsam als Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen an den Gräbern stehen? Haben die Worte heute noch den gleichen Klang? Die gleiche trotzige Wirkung? War Luther auch ein Heiliger? Bei der Frage zuckt die protestantische Seele zusammen – Luther, ein Heiliger? Das kann ja wohl schlecht sein, oder? Natürlich war Luther ein Heiliger! Nur liegt seine Heiligkeit nicht in Wundern und wundersamen Zeichen begründet – aber so ist es ja eigentlich nie. Luther ist Vorbild im Glauben, wie alle anderen Heiligen auch.
Stellt Euch das doch mal vor: Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Von Angesicht zu Angesicht mit dem Kaiser, allen Fürsten, dem ganzen Reichstag, den Vertretern des Papstes steht Luther und sagt diesen Satz. Und die anderen Sätze auch: Ich kann und werde nicht widerrufen. Nicht irgendwo anonym auf Twitter oder Facebook oder so. Ob seine Stimme gezittert hat? Ob seine Knie weich geworden sind? Ganz bestimmt. Ganz bestimmt. Ich kann es mir gar nicht anders vorstellen. Er muss schreckliche Angst gehabt haben. Wie alle anderen auch: genauso wie Franz von Assisi oder Albert Schweitzer, genauso wie Pater Maximilian Kolbe oder Schwester Edith Stein in ihren Todeszellen in Ausschwitz, genauso wie Martin Luther King, Paul Schneider und Dietrich Bonhoeffer und all die anderen Heiligen, die nichts hatten, als allein ihren Glauben, der sie in den entscheidenden Momenten standhalten und das Richtige tun ließ.Ich traue mich zu sagen: Ganz genauso wie Christus, damals im Garten von Gethsemane.
Kann man das vergleichen? Warum denn nicht? Es ist doch immer der Blick auf Christus, der Glauben an ihn, der alle heiligen Menschen eint und in seine Nachfolge ruft. Und die Angst, das Beben der Stimme und die zittrigen Knie. Das haben sie auch gemeinsam. Die Heiligen und Jesus. Und wir. Wie oft haben wir auch im vergangenen Jahr an den Gräbern gestanden mit zitternden Knien und Angst vor dem, was werden soll? Wie oft vor den nächsten Stunden, dem nächsten Tag oder den nächsten Wochen gebangt? Und konnten gar nicht anders. Ich glaube, das eint uns alle oft mit Christus und den Heiligen. Hier stehe ich. Ich wollte, es wäre anders. Aber hier stehe ich jetzt. Ich kann nicht anders. Ich kann nicht ausweichen. Ich sehe keinen Ausweg. Gott helfe mir. Ja, Gott ist der einzige, der helfen kann. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Dir Worte klingen von gestern nach. Aber heute haben sie noch einen etwas anderen Klang. Ohne stolzgeschwellte Brust. Ganz ohne Pose. Reformationstag und Allerheiligen klingt ganz gut zusammen.
Vielleicht ist es das, was unsere Kirchen, was wir als Christinnen und Christen gemeinsam gerade am dringendsten brauchen: Glauben ohne Pose. Glaube, der uns nicht einknicken lässt, auch wenn die Angst groß ist. Glaube, der uns in die Nachfolge Jesu Christi ruft und uns das Richtige tun lässt, auch wenn die Knie zittern. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.