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Die letzte Fastenpredigt in der Stadtpfarrkirche Bad Königshofen war Diakon Rudi Reuter (Herbstadt) vorbehalten. Sein Thema "Mein Herz wendet sich gegen mich..." Die musikalische Gestaltung hatte der Chor Kreuz und Quer aus Herbstadt übernommen. In seinen Ausführungen ging der Diakon auf Russland ein. Dort war das Wort "Barmherzigkeit" im Sprachschatz des Kommunismus nicht vorhanden. Es wurde gestrichen.

Dazu  berichtete er von einem jungen Mann, der am 1. Januar 1919  in St. Petersburg geboren wurde. Sein Name war Daniil Granin. Es war dies die Zeit der großen Umwälzungen in Russland, eine soziale Revolution, bei der alle die gleichen Rechte haben sollten. Die Religion wurde als Gift für die Menschen bezeichnet. In dieser turbulenten Zeit wuchs Daniil Granin auf. Er war durch und durch ein Kommunist und wurde Schriftsteller.  In den 1980er Jahren aber hatte er ein "Aha-Erlebnis. Er fragte sich, wo im Land eigentlich die Barmherzigkeit geblieben ist. Man hatte nicht nur das Wort Miloserdie aus dem russischen Wörterbuch gestrichen, es gab auch kein barmherziges Handeln mehr. Schließlich stand es im Widerspruch zum Kommunismus. Das veranlasste Daniil Granin das Buch "Die verlorene Barmherzigkeit" zu schreiben. Außerdem gründete er die Hilfsorganisation mit dem Namen "Barmherzigkeit", die sich um notleidende Menschen im zu Ende gehenden Kommunismus Russlands kümmerte. Allerdings  bekam er weder Unterstützung von einer Partei noch von kirchlichen Institutionen. Damit fand seine Hilfsorganisation ein schnelles Ende.

Diakon Rudolf Reuter stellte bei seiner Fastenpredigt die Frage: Wie sieht es bei uns mit der Barmherzigkeit aus?" Es werde zwar viel über Menschenrechte, Humanität, Menschlichkeit gesprochen, aber gelebt wird sie kaum. Fragen müsse man sich da schon, ob es diese Barmherzigkeit nur noch in der Kirche gibt. Der Diakon wusste auch, dass das Wort "Gutmensch" mittlerweile negativ besetzt ist und sogar zum "Unwort des Jahres 2015" erklärt wurde. Das Wort Gutmensch steht schon längere Zeit im deutschen Duden, ist dort aber nicht als Ehrentitel geführt, sondern als abfällige Bezeichnung für jemanden der Güte und Barmherzigkeit in seinen Begegnungen mit anderen an den Tag legt. Im vergangenen Jahr erlangte die Verwendung dieses Wortes seinen Höhepunkt, indem man mit ihm alle disqualifizieren wollte, die sich für ankommenden Flüchtlinge einsetzen.

Der Diakon erwähnte den chinesischen Weisheitslehrer Lao-Tse. Der hatte bereits im 6. Jahrhundert vor Christus festgestellt, dass Pflichtbewusstsein ohne Liebe verdrießlich macht. Verantwortung ohne Liebe rücksichtslos und Gerechtigkeit ohne Liebe hart macht. Das Wort Liebe könne man aber auch, so der Prediger, durch das Wort "Barmherzigkeit" ersetzen. Damit hätten schon die alten Chinesen gewusst, wohin man kommt, wenn Liebe und Barmherzigkeit aus dem menschlichen Miteinander gestrichen werden. Es sei also wichtig, zu beobachten, wie heute über Menschen gesprochen wird, die sich tatkräftig für andere einsetzen, oder sich schützend vor andere stellen. Das Thema von Papst Franziskus, Barmherzig wie der Vater, sei also aktuell.

Der väterliche Gott werde schon im alten Testament erwähnt. "Er ist nicht nur der ewige Gott, der nach Recht und Gerechtigkeit richtet, sondern er ist wie ein Vater, der ein Herz für seine Kinder, für sein Volk hat." Trotz aller Zuwendungen und Liebeserweise ist sein geliebtes Volk untreu, läuft anderen Götzen nach und missachtet Gottesfreundschaft. Gott aber ist barmherzig. Auch in der heutigen Zeit brauche man immer wieder ein Herz "wie unser himmlischer Vater, das sich trotz innerer Widerstände für eine barmherzige Antwort oder Reaktion entscheidet." Schließlich hat der Diakon das Wort Barmherzigkeit folgendermaßen buchstabiert: Bestehen, wo andere gehen, Aufrichten, Respekt zollen und zwar jedem Menschen, Mutmachen statt lähmen, Humor haben und lachen, Einfühlsamkeit riskieren mitten in der Routine, Rachegelüste wandeln durch neues Denken, Zuwendung leben aus Überzeugung, Interesse bekunden mit wachem Blick, Großzügigkeit wagen und der Enge trotzen, Keine Schranken setzen, Einen neuen Anfang machen  Ideenreich Brücken bauen und Tragen und getragen werden aus vollem Herzen.

Autor: Hanns Friedrich

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