logo pg Grabfeldbrücke

Heute, am Palmsonntag des Lesejahres A, haben wir die Leidensgeschichte Jesu nach Matthäus gehört. Ich möchte dazu ein paar Impulse mit auf den Weg geben: Den Evangelisten Matthäus sehen wir in der christlichen Kunst mit einem Engel abgebildet. In sich gekehrt hört er auf einen Engel, der zu ihm spricht. Das, was die Kunst äußerlich abbildet, geschieht aber im eigenen Herzen.

 Es ist eine innere Stimme und diese Stimme diktiert ihm sein ganz persönliches "Jesus-Bild". Es ist nicht so, wie wir als moderne Menschen es erwarten, dass die Evangelisten eine Art geistliche Reporter sind, die ihre Aufmerksamkeit nach außen richten und möglichst detailgetreu in Worten festhalten, was sich vor ihren Augen abspielt.

Wir erwarten heute, dass ein guter Berichterstatter hinter die Tatsachen zurücktritt, dass er versucht das Geschehen selbst zu den Lesern sprechen zu lassen. Er soll nicht mit seinen persönlichen Stimmungen und Gefühlen vereinnahmen. In diesem Sinne aber sind die neutestamentlichen Evangelisten keineswegs "sachliche Berichterstatter". Keiner von ihnen will eine Biografie des Lebens Jesu verfassen und sie erzählen auch nicht das Leben und Wirken Jesu als Augenzeugen. Gewiss, sie alle verarbeiten Material, das es mit dem "historischen Jesus" zu tun hat. Aber jeder von ihnen bringt gleichzeitig seine ganz persönliche "Vision Jesu" ins Spiel. Worin bestehen nun die Hauptzüge des Evangeliums bei Matthäus? Welche Akzente setzt Matthäus bei seiner Darstellung des leidenden und sterbenden Jesus von Nazaret?

Hier einige Merkmale: Matthäus sieht das Leben und Leiden Christi in den großen Heilsplan Gottes eingefügt, von dem schon die alttestamentlichen Schriften Kunde geben. So treffen wir bei ihm immer wieder auf die Formel: "Dies ist geschehen, damit erfüllt würde, was bei den Propheten geschrieben steht". Im Schicksal Jesu vollzieht sich der ewige Ratschluss des Vaters. Weil Jesus ganz im Willen des Vaters steht, erscheint er in der Sicht des Matthäus den Menschen gegenüber als freier Herr des Geschehens. Er weiß und akzeptiert, was auf ihn zukommt. Er kennt längst seinen Verräter und fordert ihn im Ölgarten selber auf: „Tu, wozu du gekommen bist!" - Noch mit gefesselten Händen spricht er davon, dass er nicht auf die bescheidenen Waffen seiner Jünger angewiesen ist, sondern von Gott zwölf Legionen Engel zu seinem Schutz erbitten könnte. - Jesus, wie ihn Matthäus sieht, unterliegt nicht einfach der Übermacht seiner Gegner, sondern beugt sich dem Ratschluss seines himmlischen Vaters.

Ferner betont Matthäus sehr stark die Ablehnung, die Jesus von einigen seiner jüdischen Glaubensbrüdern erfährt. Bei seiner Verurteilung spielt Pilatus eher eine untergeordnete Rolle. Die eigentliche Verantwortung für den Tod Jesu übernehmen die zusammengelaufenen Menschen, die als "Volk" umschrieben werden und die rufen: "sein Blut komme über uns und unsere Kinder!" - Im Gegensatz zum Unglauben seiner Glaubensbrüder steht die Aufgeschlossenheit der Heiden. Der römische Hauptmann und seine Soldaten, die den Tod Jesu erleben, erkennen bei Matthäus das Geheimnis dieses Hingerichteten und sprechen es sogar aus: „Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!“ So findet Jesus schließlich bei Fremden die Anerkennung, die ihm das eigene Volk verweigert hat. Ein weiterer wichtiger Punkt ist bei Matthäus, dass für ihn Jesu Sterben nicht nur Ende, sondern noch mehr ein Neubeginn ist. Mit Jesus zusammen stirbt eine ganze Epoche. Der alte Äon (also das vergangene Zeitalter) macht einem neuen Zeitalter Platz.

Matthäus schildert das in höchst drastischen Bildern: Der Vorhang des Tempels zerreißt, der bisherige Kult verliert damit vor Gott seine Bedeutung. Die Erde bebt und die Felsen zerbrechen, als sei der Jüngste Tag bereits gekommen. Mitten in diesen Zeichen des Untergangs kündet sich aber das Neue an: die Auferstehung der Toten. Der Gekreuzigte wird die Verwesung nicht schauen, sondern in Gottes ewige Herrlichkeit eingehen. Und viele aus dem Totenreich werden ihm folgen. Der Evangelist Matthäus hat also bei seiner "inneren Schau" des Leidens Christi keine deprimierende Untergangsvision. Seine "Leidensgeschichte" ist sozusagen eine Geschichte mit glücklichem Ausgang: Die Liebe des Gekreuzigten ist stärker als der Hass seiner Feinde. Die Liebe ist stärker als der Tod. Amen.

­